Seit ich auf dem Land wohne, gönne ich mir ab und zu einen Tag in der Stadt und setze mich für ein paar Euro mit meinem Laptop in einen ziemlich netten sogenannten Coworking Space, also praktisch ein Büro mit kompletter Infrastruktur, aber ohne feste Mitarbeiter, in das man einfach hineinspazieren und losarbeiten kann, mitten in Wiesbaden. Die Mittagspausen nutze ich ausgiebig, um meiner trotz guter Landluft nicht ganz totzukriegenden Konsumlaune zu frönen. Ansonsten genieße ich den Kontrast, den die um mich herum sitzenden Kreativlinge und Hipster zu meiner idyllischen, lebenspraktischen Dorfwelt bilden.

Bis zu dem Tag, an dem ich mit einem fröhlichen „Morgeeeen!“ auf den Lippen die Tür des zwar raufasertapezierten, aber dafür mit den obligatorisch coolen Accessoires wie einer fetten Industry-Deckenleuchte und einem Regal aus alten Weinkisten aufgepeppten Altbauraums aufstoße, mich wohlig seufzend niederlasse, Laptop, Smartphone und Kopfhörer um mich herum ausbreite – und dann am Tisch links zwei Typen Anfang Dreißig sehe, die in einem halb gelangweilten, halb Selbstsicherheit vortäuschendem Ton Sätze hin- und herraunen, die aus meiner bescheiden genervten Sicht erheblich zu inhaltsleer sind, um überhaupt ausgesprochen zu werden. Nun ja, es hat eben nicht nur Vorteile, Kollegen zu haben, fällt mir da wieder ein. Geschieht mir ganz recht, ich wollte ja einen Stadttag, statt ganz alleine in meinem wunderschönen frisch renovierten Büro zuhause mit weitem Blick in die frühlingshaft losblühende Natur zu sitzen.

Zeit für Kopfhörer, befinde ich. Webradio jedenfalls ist eine glorreiche Erfindung. Und schon tritt das Gebrabbel angenehm in den Hintergrund. Als ich die Kopfhörer aber eine Stunde später herausnehme, komme ich leider nicht umhin, zu hören, dass die beiden inzwischen keine Allgemeinplätze mehr austauschen, sondern dazu übergegangen sind, an ihren Berichten zu feilen. Ihren englischen Berichten. Müde werfen sie Satzbrocken und Vokabeln hin und her. Da sitzen sie also vor mir, in ihren weißen Hipster-Turnschuhen und der schwarzen Adidas-Jacke mit Goldstreifen, direkt vor mir, tun wichtig und produzieren genau diese Art von englischen (Verzeihung, aber das muss ich jetzt beim Namen nennen) Bullshit-Texten, über die Übersetzer wie ich später fluchen werden, weil ihr Unternehmen irgendwann feststellen wird, dass es trotz englischer Amtssprache ja doch ganz schick wäre, die Berichte auch alle auf Deutsch vorliegen zu haben. Ein ensure nach dem anderen wabert aus ihren Mündern, weaknesses folgen auf completeness und mir werden passend dazu die Knie weich. Komplett, sozusagen. Zum ersten Mal wird mir klar, dass diese schaurig-schönen Business-Texte, an denen mein Hirn und Herz, meine Motivation und Kreativität regelmäßig verzweifeln, nicht annähernd mit so viel Aufmerksamkeit geschrieben werden, wie ich immer vorausgesetzt habe. Irgendwie war ich nie auf die Idee gekommen, dass sich da nicht eine einzelne Person hingesetzt und voller Überzeugung all das niedergeschrieben hat, was sie zu dem jeweiligen Thema so weiß und denkt. Und sich vielleicht nur ungeschickt ausdrückt. Dass da zwei (oder wer weiß wie viele sonst noch) mäßig erfahrene, fremdsprachlich durchschnittsbegabte Wir-sind-cool-wir-sind-wichtig-Hipster in Bald-ist-Wochenende-Stimmung auf Teufel komm raus englische Vokabeln zusammenblubbern, bis am Ende ein Text auf ihrem Display steht – das war mir nicht in den Sinn gekommen. Auch wenn es im Nachhinein viel erklärt. Sehr viel. All die unfassbar umständlichen und zum Teil bis zur Sinnlosigkeit überfrachteten englischen Satzkonstruktionen zum Beispiel (und wenn ich das schon sage. Wie Sie möglicherweise gemerkt haben, habe ich eine Schwäche, um nicht zu sagen Leidenschaft für überfrachtete Satzkonstruktionen.) Wie oft hatte ich mich gefragt, was um Himmels Willen mir der Autor hiermit eigentlich sagen will. Jetzt weiß ich es: Gar nichts. Der Autor wollte einen Text fertig bekommen und pünktlich Feierabend machen. Der Autor hatte lauter englische Satzbausteine im Kopf, auf die er wahnsinnig stolz war und die er unbedingt alle noch unterbringen wollte.

Was für eine Erkenntnis. Langsam ließ ich meinen Laptop zuklappen, sammelte mein Equipment vom Tisch und entschwand in die Mittagspause, meiner Konsumlust frönen. Schmunzelnd dachte ich an mein Dorf. Da gab es auch Bullshit, aber ganz anders. Der landete wenigstens da, wo er hingehörte: auf dem Feld, nicht im Computer.